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25. Dezember 2010 6 25 /12 /Dezember /2010 08:52

 

Grue_Pirat.jpgIch habe vor ner Weile einen recht gut beachteten Artikel zum Thema Was die Piraten von den Grünen lernen können veröffentlicht.

 

Heute will ich den Spiess mal umdrehen: Ich will darüber reden, was die Grünen von den Piraten lernen können.

 

Nun werden einige einwenden, das habe eine 20%-Partei doch gar nicht nötig, von einer 2%-Partei zu lernen.

 

Doch hat sie, und zwar aus drei Gründen:

 

1.) Hätte die 40%-Partei SPD von den Grünen gelernt, als diese noch eine 4%-Partei waren, nun, dann wäre die SPD heute nicht bei 27% und die Grünen nicht bei 20%.

 

2.) Noch vor 5 Jahren hatten die Grünen fast das Monopol auf die Stimmen der kritischen, aufgeklärten Jugendlichen. Heute muss sie sich diese Stimmen schon mit der Piratenpartei teilen. So begann damals auch der Abstieg der SPD (s.o.).

 

3.) Wer langfristig erfolgreich sein will, der sollte nicht nur kurzfristige Strategien verfolgen, die auf Mehrheiten ausgerichtet sind (wie Koalitions-Gedankenspiele und Rücksicht-Nahmen), sondern muss kontinuierlich an der eigenen Glaubwürdigkeit arbeiten. Wer das nicht tut, fördert die Politik-Verdrossenheit.

 

Wer keinen diese Gründe akzeptiert, kann hier aufhören zu lesen.

Ich versuche mal, das was ich sagen will unter den Aspekten Glaubwürdigkeit, Faktenwissen und Mut diskutieren.

 

Glaubwürdigkeit

 

Es gibt kein größeres Problem für die Glaubwürdigkeit einer Partei, wenn ihre gewählten Abgeordeneten anders abstimmen, als es Beschlusslage und Programm der Partei vorsehen.

 

Es mag sein, das nur wenige Programme lesen und Beschlüsse aktiv verfolgen. Dennoch spricht es sich herum und für die Menschen ist es das einzige Mittel, vorher zu wissen, wie sich eine Partei verhalten wird, wenn ich sie denn wähle. Und selbst wenn das Thema für die Partei nicht das wichtigste ist - für mich kann es das wichtigste sein.

 

Natürlich gibt es Ausnahmen: Einzelne Abgeordnete können durchaus mal eine eigenen Meinung vertreten. Und in Koalitionen kann eine Partei natürlich nicht alles durchsetzen, sondern muss (zum Teil erhebliche) Kompromisse eingehen.

 

Bei den Internet-Sperren jedoch hat die halbe Grüne Bundestagsfraktion ohne Not anders abgestimmt als der Bundesparteitag beschlossen hatte.

 

Bei der Vorratsdatenspeicherung fällt ausgerechnet der Grüne Bundestags-Datenschutzbeauftragte den Gegnern derselben in den Rücken.

 

Und beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) haben die Grünen Abgeordneten in mehreren Bundesländern nicht nur gegen eigenen Beschlüsse, sondern auch gegen jede Vernunft für den von CDU & SPD ausgekungeltzen Unsinn gestimmt. Mit einer Begründung, die die WählerInnen und den gesunden Menschenverstand verspottet und erheblich zur Politikverdrossenheit beiträgt.

 

Die WählerInnen erwarten von den PolitikerInnen Rückrat und Überzeugung, nicht eine vorauseilende Unterwürfigkeit gegenüber potentiellen zukünfitgen Koalitionspartnern.

 

Und wenn ihr schon zu Kreuze kriecht, dann nehmt euch die Zeit und Muße, die Gründe ausreichend transparent zu machen. Wenigstens haben eure Parteimitglieder und Anhänger das Recht, die Hintergründe und Überlegungen ausführlich erklärt zu bekommen. Nicht in einem Interview irgendwo, sondern auf einer Web-Seite, die mehr liefert als ein paar Argumente, sondern sich ausführlich mit dem Thema, den Gründen und den taktischen / strategischen Argumenten auseinander setzt und auch Minderheitenmeinungen zu Wort kommen läßt.

 

Das wäre zumindest der Weg, den die Piratenpartei wählen würde, wenn sie eine solche schwere Entscheidung gegen die eigenen Beschlüsse tatsächlich tragen müßte.

 

Fachwissen

Die führenden Köpfe der Piratenpartei legen sehr viel Wert darauf , sich nur zu Themen zu äußern, mit denen sie sich auch inhaltlich intensiv auseinander gesetzt haben. Zu anderen Themen wollen sie lieber schweigen.* Das führt auch dazu, dass die programmatische Öffnung nur sehr behutsam vorangetrieben wird.

 

Diese (für Politiker ungewöhnliche) Einstellung  liegt sicher mit daran, dass viele der Gründungsmitglieder aus der Informatik oder ähnlichen Berufen stammen, in denen man ohne exaktes Wissen um alle Aspekte eines Themas ganz schnell untergeht.

 

Auch für die Politik wäre das ein gutes Prinzip, denn es würde helfen, Themen zu versachlichen und kluge Entscheidungen zu treffen, statt sich (wie bei JMStV) einfach um jeden Preis durchzusetzen.

 

Die meisten Berufspolitker Deutschlands dagegen sind Juristen. In diesem Berufsfeld kommt es vor allem darauf an, seine besten Argumente möglichst geschickt vorzutragen. Das mag kurzfristig funktionieren, führt aber langfristig nicht zu guten Gesetzen und erzeugt bei den WählerInnen schnell das Gefühl, ständig übers Ohr gehauen zu werden.

 

Auch wenn die Grünen PolitikerInnen meist keine JuristInnen sind: Auch bei ihnen wird immer häufiger offensichtlich, dass sie von dem Thema, von dem sie sprechen, nicht wirklich Ahnung haben. Die Argumente sind häufig so dünn, dass sie aus einem oberflächlichen Zeitungsartikel stammen könnten (manchmal hab ich sogar das Gefühl, aus der Hetz-Zeitung).

 

Insbesondere bei Technik / Internet-Themen fällt das der (meist kompetenteren) Zuhörerschaft besonders stark auf. Und wenn dann die Grünen selbst vorhandenes Fachwissen (wie in Thüringen oder die inkompetenten Aussagen des Bremers Matthias Güldner - passend übrigens in Springers Welt - oder Renate Künsat neulich in Berlin)  nicht nutzen, sondern diese Kooperationen sogar aufs Spiel setzt - dann ist die Polemik der eigenen Zielgruppe verdient.

 

In Talkshows für die ältere Generation mag man damit noch punkten können. Jugendliche und die kompetenten eigenen Mitglieder vertreibt man damit. Und zwar langfristig.

 

Es wäre also auch für die Grünen keine schlechte Idee, wenn sich die Spitzenpolitiker sich in ihren Äußerungen auf Themen beschränken, von denen sie was verstehen und ansonsten die Experten der Partei vorschicken.

 

Damit könnten sie sich auch positiv von der Schaumschlägerei der anderen Etablierten abgrenzen.

 

----

* Das gilt sicher nicht für alle Mitglieder, stellt aber einen durchaus weit verbreiteten Konsenz dar.

 

 

Mut

Die Grünen wurden durch die jahrelangen (vorgeschobenen) Vorwürfe, nicht koalitionsfähig zu sein, so zermürbt, dass sie sich heute nicht trauen, auch nur mal ein bischen aus der Reihe zu tanzen.

 

Klar, den Demos gegen AKWs machen sie mit, aber ansonsten halten sie sich an die ganzen parlamentarischen Absprachen und Regeln und Verfahren, ohne diese in Frage zu stellen. Das ganze Affentheater machen sie fleißig mit. Und nur weil ein großer SPD Häuptling einen völlig unsinnigen Staatsvertrag ausgehandelt hat, meinen sie, den auch noch beschließen zu müssen.

 

Und bei Wikileaks? Da ist zwar bei vielen Grünen die (kammheimliche) Freude groß, aber die Partei als ganzes wagt es nicht, sich aktiv zu Wikileaks und zur Pressefreiheit zu bekennen. Man könnte ja die Diplomaten im Auswärtigen Amt verärgern oder den großen Bruder in den USA.

 

Ein grüner Spitzenpolitiker, das öffentlich kritisiert, dass US Politiker die Todesstrafe für Assange fordern? Fehlanzeige! Ein grüner Politiker, das Julian Assange in Deutschland politisches Asyl anbietet? Nix. Erst wenn Assange ein paar Jahre in Guantanamo gefoltert wurde und die USA ihn wieder loswerden wollen, dann werden sie sich recken um ihn hier aufzunehmen.

 

Genauso wie sie es im Fall Murat Kurnaz nicht wagten, gegen Koalitionspartner und USA aufzustehen, obwohl ein klarer Verstoß gegen Menschenrecht & Völkerrecht vorlag.

 

Nicht dass ihr mich falsch versteht: 90% der Grünen finden Wikileaks klasse. Aber die Parteispitze traut sich nicht, das auch zu sagen.

 

Die Piratenpartei ist dagegen die einzige Partei Deutschlands, die sich zu Wikileaks bekennt.

 

Das fehlt den Grünen übrigens auch für Entscheidungen in Koalitionen. In den Augen der Öffentlichkeit geben die Grünen - insbesondere bei Großprojekten - viel zu schnell und einfach nach. Da wird nachgegeben (oder vertagt), statt transparent einen Deal herauszuhandeln.

 

Fazit:

Die Grünen haben sich geschickt wie keine andere Partei an den parlamentarischen Alltag angpaßt und erreichen darin  - selbst wenn sie in der Opposition sind - erstaunlich viel. Sie haben sich die Anerkennung der anderen Parteien und auch der bürgerlichen WählerInnen erarbeitet. Sie haben ein gutes, fortschrittliches, realistisches Programm, das oft deutlich konkreter wird, als das der anderen etablierten Parteien.

 

Ihre Geschicklichkeit / Angepaßtheit wird jedoch - vor allem von den Jugendlichen - als Mangel an Engagement und Vision wahrgenommen. Mehr Fachwissen in der Diskussion,  Glaubwürdigkeit im Handeln und Mut zu unpopulären Positionen, kan helfen, ihr Profil wieder zu schärfen und den Absturz abzufedern / zu vermeiden.

 

 

Siehe auch:

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A donde vais, piratas?

Warum wir keine Arbeiterpartei haben, aber dringend eine brauchen

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Hotelspendenskandal: Auch CSU ließ sich bestechen

Abrechung mit den Nicht-Wählern und denen, die mit ihrer Zahl argumentieren

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Wir Neoliberalen
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Kommentare

T
<br /> Richtig guter Artikel. Ich würde mir teilweise auch mehr Mut, Glaubwürdigkeit und Fachwissen wünschen. Als Stadtrat kann ich leider nicht alle Dinge genaustens durcharbeiten und man verlässt sich<br /> dann rasch auf FachkollegInnen. Und die Versuchung ist dann natürlich groß, z.B. am Infostand auch zu Themen was zu sagen, wo man sich selbst nicht gut auskennt, aber eben mal eine Rede eines<br /> Kollegen gehört hat...<br /> <br /> <br />
Antworten
S
<br /> In einer Auseinandersetzung mit der Positionierung der Grünen zu Wikileaks sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Grünen sich öffentlich gegen Wikileaks ausgesprochen haben, weil es eine Gefahr<br /> für die Demokratie sei:<br /> http://www.youtube.com/watch?v=HytgD_IsqiU (ab 4:03)<br /> <br /> <br />
Antworten
D
<br /> <br /> Hallo Staubkorn,<br /> <br /> <br /> das waren keineswegs "die Grünen", sondern ein grüner Spitzenpolitiker, der hier seine Meinung sagte. Soviel Differenzierung muss sein, wenn man politisch ernst genommen werden will.<br /> <br /> <br /> Gruss<br /> <br /> <br /> Benno<br /> <br /> <br /> <br />
F
<br /> Danke, das war ein wirklich gut ausgeführter Artikel. Ohne Hetze und Polemik, ohne die einige leider nicht können.<br /> Danke!<br /> <br /> <br />
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D
<br /> <br /> Danke für das Lob!<br /> <br /> <br /> Für manche ist leider "die Partei" wichtiger als das Ziel. Aber es gibt (in allen Parteien) inzwischen auch andere Menschen.<br /> <br /> <br /> Grundsatzartikel dazu auch für unser Theorie-Nebenblog http://direkteaktion.blogsport.eu in Arbeit.<br /> <br /> <br /> <br />

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