Obelix
Es gibt Vereinfachungen und es gibt Rassismus. In der öffentlichen Diskussion, in diversen Internet-Monologen (genannt Blogs) und auch in der privaten Diskussion wird beides gern durcheinander geworfen.
Vereinfachungen sind ein grundlegender Mechanismus, den unser Gehirn anwendet, um mit der Komplexität der uns umgebenden Welt zurecht zu kommen. Auch in der Sprache dienen Vereinfachungen der Verständigung, um den Austausch zwischen Menschen auf die relevanten Fragen zu reduzieren.
Rassismus dagegen ist eine Extremform der Vereinfachung. Eine, die mehr Schaden anrichtet, als sie nutzt. Und dennoch ist Rassismus besonders (aber natürlich nicht nur) in Deutschland weit verbreitet. Das hängt damit zusammen, dass es eine Zeit gab, in der Rassismus eine tragende Säule unseres Staatsgebildes war und sich in dieser Zeit tiefer als zuvor in die Denk- und Reakltionsmuster (Unterbewußtsein) der Menschen eingeprägt hat und danach über Erziehung, öffentlichen Diskurs und Schulsystem auch an die jüngere Generation weitergegeben wurde. Rassismus ist aber auch von Bildung abhängig. Ungebildete Menschen (gleich welcher Nationalität) haben weniger Chancen aus rassistischen Denk- und Verhaltensmuster auszubrechen, weil ihnen dazu oft Wissen fehlt, das eine differenzierte Betrachtung erst ermöglicht.
Rassismus ist auch ein beliebtes Stil-Mittel des Boulevard-Journalismus (besonders: Springers Hetzblatt), denn mit der Zuspitzung auf negative Emotionen läßt sich hervorragende Auflage machen. Aber auch der Fernsehen unterstützt leider den Fortbestand und Neuentwicklung von Rassismus. Durch die Dominanz optischer und damit tendentiell oberflächlicher Eindrücke wird Differenzierung nicht gefördert und die Boulevardisierung mancher Sender (besonders: RTL) unterstützt das nur (es geht um Einschaltquoten).
Was ist nun der Unterschied?
Vereinfachung diente schon in der Steinzeit unseren Vorfahren zu schnelleren Erkennung der Feinde. Bestimmte Haut- oder Haarfarben erleichterten das Erkennen eines möglichen Feindes und erhöhten damit die Überlebenschance - weil man auf der Hut war.
Rassismus war jedoch schon damals - auch wenn es natürlich das Wort noch nicht gab- wenn jemand nur wegen seiner blonder Haare gleich angegriffen wurde. Denn solche Kriterien waren bestenfalls Anhaltspunkte, nicht aber zuverlässig. Frühe Hochkulturen haben deshalb immer danach gestrebt, solche primitiven Verhaltensmuster abzulegen und sind zu Uniformen und Parolen als Erkennungs-Kriterien übergegangen.
Übertragen auf unsere Zeit läßt sich das wie folgt:
Von jemandem mit einem asiatischen Aussehen anzunehmen, dass er Deutsch evtl. nicht versteht und daher freundlich nachzufragen, ob er Deutsch spricht, ist eine Vereinfachung, noch kein Rassismus. Mit dieser Person dagegen in einem primitiven und sogar fehlerhaften Deutsch zu sprechen, ist dagegen Rassismus, weil es erstens nicht hilftreich ist, zweitens ein Handeln auf ungeprüften und möglicherweise fehlerhaften Annahmen darstellt.
Noch deutlicher wird das bei einer Behauptung wie:
"Die Türken in Deutschland wollen sich nicht integrieren."
Das ist genauso hilfreich, falsch und rassistisch wie die Behauptung:
"Die Deutschen sind Nazis."
Natürlich gibt es für beides Belege. Und für beides gibt es mindestens fünfmal so viele Gegenbeispiele. Und auch noch reichlich Grauzone.
Gern wird als Rechtfertigung für solche rassistischen Behauptungen angeführt, es handele sich um Provokationen oder gar um einen "Tabu-Bruch". Tabu-Brüche sind es schon mal deshalb nicht, weil die Parolen am rechtsextremen Rand hinreichend vorgekaut und erprobt worden sind. Und schon bei näherer Betrachtung wird schnell sichtbar, das es den Urhebern gar nicht um eine Lösung geht, sondern tatsächlich darum, Emonionen gegen die jeweils benannte Gruppe zu erzeugen.
Bleiben wir beim Beispiel Integration: Wem es wirklich um Integration geht, der muss doch gerade betrachten, welche Faktoren zur erfolgreichen Integration beitragen und welche ihr entgegen stehen. Und nur geringe Inteligenz ist notwenig um zu erkennen, das gerade Vorwürfe (insbesondere rassistische) nicht zu einer Steigerung der Integrationsbereitschaft beitragen werden. Warum soll ich mich in eine Gesellschaft integrieren, in der ich so pauschal (und ungeachtet meiner tatsächlichen persönlichen Bemühungen!) beschimpft werde?
Das Beispiel zeigt: Im besten Fall entspringt Rassismus aus Dummheit. Im schlimmsten Fall jedoch wird Rassismus ganz gezielt eingesetzt, um gegen bestimmte Gruppen oder Nationalitäten aufzuhetzen. Fast immer geschieht das, um daraus persönlichen und/oder politischen Gewinn zu erzielen. Also aus niederträchtigen Motiven.
Was die Ursache und Motivation bei Thilo Sarrazin (SPD) oder Jürgen Rüttger (CDU) gewesen sein mag, über lasse ich euch hier gern zur Entscheidung.
Noch ein Exkurs zur Meinungsfreiheit:
Immer wieder wird Kritik an solchen Rassisten mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit zurückgewiesen. Das ist erstens witzig, da die Leute ja ihre Meinung sagen durften. Soll nun die Kritik daran verboten werden? Zweitens aber müssen Taten und Worte auch Konsequenzen haben dürfen. Nicht jede Meinung ist mit jedem Amt und jeder Position vereinbar. Keiner wird den Rücktritt eines NPD Pressesprechers fordern, weil er rassistische Äußerungen von sich gegeben hat (und, ja, diese Äußerungen sind durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit voll gedeckt).
Aber die Gehälter eines Bundesbank-Vorstandsmitgliedes und eines Ministerpräsidenten werden auch von meinen Steuergeldern mit finanziert. Und auch wenn ich nicht erwarte, das sie in ihren Handlungen und Äußerungen meine Ansichten darstellen, gibt es bestimmte Grenzen, deren Überschreiten allein der politische Anstand verbietet.
Darüber hinaus hat Max Frisch hat in seinem Buch "Biedermann und die Brandstifter" sehr anschaulich dargestellt, das Worte durchaus Handlungen hervorrufen können, die zu schwer (gesellschaftlichen) Schäden oder gar zum Tode von Menschen führen können, selbst wenn die Worte keine offensichtliche Handlungsanweisung (Strafbestand der Anstiftung) enthalten. Deshalb bin ich der Meinung, das bei Personen, die durch ihre Prominenz eine Breitenwirkung gegeben ist und bei denen eine gewisse Intelligenz vorausgesetzt werden kann (Politiker, TV-Produzenten), die Verbreitung von Rassismus tatsächlich unter Strafe gestellt werden sollte. Insbesondere, wenn sie aus den Äußerungen selbst Vorteile erzielen (Wahlkampf, Popularität, Auflagen, Einschaltquoten).
Doch Rassismus findet noch einen viel subtileren Ausdruck, als solche prominenten Äußerungen. Denn wir allereagieren unterbewußt rassistisch. Anhand von Aussehen wichtige Entscheidungen zu treffen ist in Deutschland gang und gäbe. Und zwar in der Mtte der Gesellschaft. Eine aktuelle OECD-Studie zur Integration kommt zu den erschütternden Ergebnis: "Fremde Namen fallen durch" . Hochqualifizierte Migranten würden auf dem Arbeitsmarkt immer noch stark benachteiligt und Bewerbungen oft schon allein wegen des Namens aussortiert.
Die Unterschiede der Arbeitsmarktintegration zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund treten besonders deutlich bei den Hoch- und Fachhochschulabsolventen hervor: So haben hierzulande 90 Prozent der 20- bis 29-jährigen hochqualifizierten Männer ohne Migrationshintergrund einen Arbeitsplatz. In der Vergleichsgruppe mit Migrationshintergrund sind es jedoch nur 81 Prozent. Und in seinem Kommentar stellt Daniel Bax fest: "Nirgendwo in Europa finden sich auf den Ämtern so wenig Mitarbeiter, die einen Migrationshintergrund aufweisen, wie hierzulande."
Ein anderer Artikel der taz schildert ein aktuelles Beispiele von Rassismus bei der Bewerberauswahl: Die Bewerbung einer jungen Diplom-Ingenieur-Architektin war, abgelehnt worden, weil sich auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch trug. Wegen angeblicher "islamistischer Grundeinstellung".
Siehe auch:
darf ich jetzt auch nicht mehr autobahn sagen?
Der Rassist im Vorstand der deutschen Bundesbank
Rüttgers: Und die Deutschen sind alles Nazis
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